Mmmmhm … lecker lecker Fresschen …“, murmele ich und schiebe die Reste der Morgen-Mahlzeit in den offenen Schlund unseres grünen Freundes. In seiner gewohnt schweigsamen Art macht er sich über sein Frühstück her und lässt nur ein leises Prasseln und ab und zu ein Knacken vernehmen. Es gibt handverlesene, ausgewogene Kost: ein wenig leicht verdauliche Rinde, zwei Scheitl Kiefernholz als Appetitanreger – und für den großen Hunger ein extra knuspriges Stück Birke, an dem er eine Weile herumkauen wird. Schon lecken die Flammen hungrig an dem dargebotenen Menü – und „das grüne Holzfresserchen“ – wie wir den Wohnzimmer-Ofen liebevoll nennen – verrichtet seinen wertvollen Dienst: Er verbreitet Wärme in unserer Stube.

 

 

 

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Damals, vor (gefühlt) langer, langer Zeit, als wir in Bärndorf noch im T-Shirt herumliefen, hatte ich großen Respekt vor dem, was jenseits des Oktobers auf uns lauerte – immerhin hatten wir die letzten sieben Jahre keinen bayerischen Winter mehr erlebt und mein Vertrauen in unsere Fähigkeiten, die kalten Monate ohne Depressionen oder Erfrierungen zu überstehen, war geschwächt. „Mir grausts vor dem Winter“, sagte ich oft zu Nachbarn und Freunden. Als die Temperaturen langsam den Gefrierpunkt erreichten und überschritten, schienen sich meine Befürchtungen zunächst zu bestätigen: Dieses Aufwachen in einem eiskalten Zimmer! Die Überwindung, die es braucht, um die warme Bettdecke zurückzuschlagen! Die taubgefrorenen Füße und der sichtbare Atemhauch, während wir mit klammen Fingern den Ofen anschüren! Und natürlich dieses ewige An- und Ausziehen – gepaart mit riesigen Klamottenbergen und der ständigen Suche nach dem zweiten Handschuh – bis wir endlich vor die Tür gehen können. Nein, all das haben wir die letzten Jahre kein bisschen vermisst.

 

 

Um so mehr habe ich gestaunt, wie Ihr Bayerwald-Bewohner dem Winter entgegentretet: „Halb so wuid“, sagt Ihr zum Beispiel, oder „Ah geh, des mocht mir nix.“

Wirklich?! Kann man diese grässliche, schauderhafte Jahreszeit so gleichgültig nehmen? Seid ihr wirklich so ein abgebrühter, hartgesottener Menschenschlag, dass euch das nichts ausmacht? Oder hat Euch das Klima erst dazu gemacht? Was war zuerst da – der Winter im Bayerwald oder die stoische Gelassenheit seiner Bewohner?

 

 

reiseradler bärndorf1 2Die Meister der Stoiker gehören meiner Erfahrung nach zu den Menschen, die selbst in so einem alten Haus gelebt haben – oder idealerweise in einem solchen aufgewachsen sind. Zum Beispiel unser Vermieter Karl, auch bekannt als „das Urgestein“. Das von uns bewohnte Bauernhaus ist seine Kinderstube und er hat schon darin gefroren, lange bevor ich das Licht der Welt erblickte. Dem Karl brauche ich nichts von klammen Füßen oder eisgekühlten Schlafzimmern erzählen: „Früher hom de Leit ganz oben auf'm Houboden g'schloffa. Da hot da Wind durch'd Ritzn pfiffa und am nächsten Dog is dann da Schnee auf de Bettdeck'n g'legn. Da hot si nix g'fahlt. De san olle imma g'sund g'wen, des hot dene nix g'mocht …“ – erklärt er mir schulterzuckend mit einer Selbstverständlichkeit, die keinen Raum für ein „aber“ lässt.

 

 

Auch mein lieber Mann kennt den Kälte-Schlaf noch zur Genüge von früher: „Freilich, da kriegst so a Bettdeck', de is in da Mitt ungefähr an Meter dick – und da liegst dann wie eingesargt. De Deck' druckt auf Dei Brust wie da „Trud“, der böse Geist, der sich nachts auf Di drauf hockt und Dir die Luft zum schnauffa abdruckt … I hob des g'hasst!“

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

reiseradler bärndorf1 1Nicht jeder entwickelt also diese Bayerwald'sche, stoische Gelassenheit – im Gegenteil, bei Michael nährte das ungemütliche Klima stattdessen den unbandigen Wunsch: „Ich will hier weg!“ Es wird kaum Zufall sein, dass es ihn bevorzugt ins schwül-heiße Asien zog. Aber das Gute an seiner Antipathie gegen Kälte und Würge-Decken ist, dass er für's Heizen unserer vier Wände viel Energie aufwendet. Die braucht es auch: Holz spalten, körbeweise hereintragen, immer wieder nachlegen … unsere Öfen wollen umsorgt sein!

 

 

 

Für mich ist das Heizen mit Holz Neuland – und ganz nebenbei eine interessante Gelegenheit, um meinen Dialekt-Wortschatz zu erweitern. Dass man einen „Roudlin“- (Rundling, rundes Stück Holz) hierzulande nicht hacken oder spalten muss, sondern „kloub'n“ – oder wie man das Feuer am besten in Gang bringt, nämlich mit „Khie“ - zu deutsch: Kienspan – all diese Feinheiten wären mir verborgen geblieben, wenn wir nicht unsere beiden Holzfresserchen hätten, die übrigens schon wieder fast runtergebrannt sind.

Manchmal bin ich ein wenig neidisch auf meine Kinder, für die der Unterschied zwischen einer Ofen- und einer Zentralheizung hauptsächlich darin besteht, dass die Zentralheizung total langweilig ist. Nichts kann man damit anstellen, außer an einem schnöden Griff drehen. Obwohl unserem Max neulich bei seiner Oma (die sogar Fußbodenheizung hat) doch etwas Überraschendes aufgefallen ist: „Hey Mama, im Klo ist es ja warm!“

Aber auch ich hatte ein Aha-Erlebnis als ich feststellte, dass ich die Rückkehr zu unseren hungrigen Holzfresserchen gar nicht so fürchtete. Hatte ich mich tatsächlich schon an den Winter gewöhnt? Kann ich vielleicht sogar lernen, so stoisch und gelassen zu werden, wie Ihr?

 

 

Außerdem war der Besuch bei der Oma – meine Mama – eine gute Gelegenheit, um mich in einer unserer Lieblingsdisziplinen zu üben: den Luxus bewusst genießen, solange er da ist. Niemals der Illusion nachgehen, dass es eigentlich ganz selbstverständlich ist, dass mein Fuß morgens beim Aufstehen einen schönen warmen Fußboden vorfindet und dass sich meine ersten Gedanken nach dem Aufwachen nicht gleich um das Auffinden der dicken Wollsocken drehen.

Wohnkomfort ist wie ein perfekt sitzendes, bequemes Kleidungsstück, in das man reinschlüpft wie in eine zweite Haut. Es trägt sich so schön, dass man nach einer Weile glatt vergisst, dass man es überhaupt anhat. Und dann legt sich ganz langsam so ein hübscher Schleier der Nostalgie über die frühere Zeit, als man noch den kratzigen Wollpullover tragen musste. Aber vergessen tut's keiner. Denn es hat seine Gründe, dass das schöne Bauernhaus nach unserem Auszug wieder leer stehen wird. Wahrscheinlich sogar für immer.