I want to ride my … biiiiiiicycle … biiiiiicycle … biiiiiiicycle …“, trällern wir übermütig einen unserer Lieblings-Songs von Queen – und unsere Laune hebt sich mit jeder Zeile; höher als die Stimme von Freddie Mercury. Der tönt aber doch mindestens genauso motiviert wie wir aus unseren kleinen Reise-Lautsprechern, die wir auf meiner Lenkertasche befestigt haben – und setzt gleich noch eins drauf: „Don't stop me nooooow … I'm having such a good time!“ – und dann die beste Liedzeile für alle Fahrradfahrer, die wir extra-laut mitsingen: „I'm travelling at the speed of liiiiiiiiight …!“ – ja, wir reisen mit Lichtgeschwindigkeit!

 

Bei so viel Euphorie ist es nämlich ganz egal, ob wir lediglich mit 15 km/h auf dem Seitenstreifen dahingurken, ob alle Autos und Mopeds mit lautem Dröhnen an uns vorbeirasen und ob jeder gefahrene Meter mühsam erstrampelt werden muss – bei so viel Übermut spüren wir hauptsächlich die Freude über unsere Unabhängigkeit, weil wir alles, was wir brauchen, dabei haben. Wir spüren die Freiheit, weil wir dahin fahren können, wo wir hin wollen – und wir spüren absolute Gelassenheit, weil es egal ist, wie lange wir dafür brauchen. Zum Beispiel fünf Tage für 150 Kilometer – das ist die Strecke von Surat Thani nach Nakhon Si Thammarat, die uns auf dem schmalen Zipfel von Thailands Süden immer weiter Richtung Malaysia führt.

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Dass unser Start in Thailand gar nicht so einfach war, dass wir heute schon um 4:30 Uhr morgens aufgestanden sind, dass unsere Kinder noch (!) schlafen und die Sonne noch (!) nicht wie verrückt auf uns herunterbrennt, trägt alles zu unserem Übermut bei: So soll sich Radreisen anfühlen! Wir versuchen, die Sorgenfreiheit so lange und so gut wie möglich auszukosten – wohlwissend, dass sie schnell zu Ende sein kann. Irgendwas wird bald passieren: Unser Ludwig (11 Monate) könnte anfangen zu schreien, Maximilian (3 Jahre) könnte aufwachen und auf die Idee kommen, dass er jetzt einen Joghurt möchte (was eigentlich nicht schlimm ist, denn wir haben sogar noch einen – aber wo ist er bloß … natürlich irgendwo in einer unserer acht großen Gepäcktaschen … nur in WELCHER?!); einer von uns könnte bieseln müssen, was Stehenbleiben erfordern und damit höchstwahrscheinlich das Erwachen mindestens eines Kindes nach sich ziehen würde … oder nicht zuletzt könnte Freddie Mercury vom Knurren unserer Bäuche übertönt werden. Doch diesmal kam es anders – kein dringendes Bedürfnis zwang uns zum Stehenbleiben, stattdessen entdeckten wir etwas, was einem Stopp absolut würdig erschien: „Schau mal, was für ein cooler Laden“, ruft Michael und deutet an den linken Straßenrand, „da will ich ein bisschen stöbern!“

 

k-surat-to-nakhon3.jpgIch bremse ab und folge seinem Blick: Ein riesiges Geschäft mit Gebrauchtwaren – wahrscheinlich aus Japan. Solche Geschäfte haben wir schon oft in Asien gesehen – ein Besuch lohnt sich eigentlich immer. Wie in einem großen Flohmarkt findet sich in der Lagerhalle reichlich Unnützes neben kleinen und großen Schätzen. Unser äußerst begrenzter Platz für Gepäck bewahrt uns zuverlässig davor, irgendwas zu kaufen, was wir nicht brauchen – und ist gleichzeitig die Grundlage für einen Running-gag, den wir uns auch diesmal verkneifen können: „Wie wär's mit der Massivholz-Schrankwand da hinten?“ – „Ja. Nicht schlecht … die könnten wir auf dem Anhänger festmachen … aber ist die nicht etwas zu klein für unser Zelt …?“

 

Am Ende verlassen wir den Laden um nur etwa 150 Gramm schwerer beladen: Eine kleine blaue Schaufel und einen passenden Rechen haben wir für die Kinder erstanden – Sandspielzeug, das sie (hoffentlich sehr) bald am Strand benutzen können. „Fahrt ihr nach Koh Samui?“, will der Ladenbesitzer von uns wissen, als wir uns wie

der in die Sättel schwingen, denn der Fährhafen ist nicht weit. – „Nein, wir fahren nach Khanom“, antworten wir und ernten gleich seine Zustimmung, dass es auf der Ferieninsel Koh Samui schon mehr als genug Touristen gibt – nämlich um die 1,5 Millionen pro Jahr, und das auf einer Fläche von nur 233 km² (circa 15% der Fläche vom Landkreis Cham).

 

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Auf der Suche nach touristisch unerschlossenen Zielen strampeln wir weiter gen Süden – und nach einer Essenspause, bei der wir unsere mittlerweile recht wütend grummelnden Bäuche beruhigt haben, ist es dann vorbei mit genüsslichem und wohlgelaunten Radreisen: Die Sonne brennt, der Hintern schmerzt, ich versuche mit allerlei Grimassen, die Kinder bei Laune zu halten … Freddie ist verstummt, stattdessen lassen wir uns von Marilyn Manson anschreien, dass wir doch schneller fahren sollen, was uns aber nicht wirklich gelingt, zumal wir ihn wegen dem viel dichteren Verkehr ohnehin kaum hören.

 

Weitere drei Stunden später zeigt uns die nackte Realität von Radreisen in Asien ihr hässlichstes Gesicht: Ludwig schreit aus vollem Halse, Max quengelt („Wo ist mein Joghurt? Wann sind wir endlich am Strand?“), Michael und ich fühlen uns wie zwei Grillhendl, denn klugerweise haben wir nur die Kinder vor der Sonne geschützt, uns selbst aber gehörig die Arme und Gesichter verbrannt … und wir sind im absoluten Nirgendwo, ohne Aussicht auf Schatten, ein kühles Getränk, geschweige denn eine Klimaanlage.

 

Doch dann, ganz kurz vor der Verzweiflung, biegen wir ohne groß zu überlegen nach links in eine Tempelanlage ein 

– und siehe da, alles löst sich in Wohlgef

allen auf. Obwohl wir eigentlich nur eine kurze Pause im Schatten einlegen wollten, entscheidet das 89-jährige Oberhaupt des Tempels, dass wir bis morgen früh bleiben sollen. Die Mönche teilen ihr Essen mit uns und weisen uns ein kleines Häuschen zu, in dem wir übernachten dürfen. Perfekt für uns,

um für den nächsten Tag neue Kräfte zu sammeln, denn morgen geht es wieder weiter – mit Lichtgeschwindigkeit.  

 

 
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